Herr Kaiser
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Herr Kaiser, Vorname Günter, ist eine der bekanntesten und dienstältesten Werbefiguren in Deutschland. Als Versicherungsvertreter war er über 37 Jahre lang für die Hamburg-Mannheimer Versicherungsgesellschaft unterwegs.
- Geburt im WDR-Fernsehen
In Erscheinung trat Herr Kaiser erstmals im September 1972. Der WDR strahlte einen Werbespot der Hamburg-Mannheimer aus, in dem der ordentliche Mann im Anzug die Grundaussage "Man kennt uns" vermitteln sollte. Die Geschäftsführung der Versicherung versprach sich mit der neuen Symbolfigur mehr Bekanntheit genauso wie mehr Kundenbindung und eine Vermenschlichung des Produkts. Ob das letztgenannte dieser Ziele erreicht wurde, mag dahingestellt bleiben, bekannter und erfolgreicher jedenfalls wurde die Hamburg-Mannheimer durch den Vertreter.
- Markenrepräsentanz durch Penetranz
Herr Kaiser verstärkte in der Folgezeit sein Engagement für die Hamburg-Mannheimer und wurde zum fast omnipräsenten Gesicht des Versicherungskonzerns. Ab Mitte der 1970er Jahre trat er nicht nur in TV-Spots auf, sondern auch in Prospekten und anderen kunden- und mitarbeiterorientierten Druckerzeugnissen. Dass das Hauptinteresse des Versicherungsunternehmens nicht nur im Verkauf von Verträgen läge, sondern dass seine Sorge ernsthaft der Lebensqualität, der Fitness und der Lebensfreude seiner Kunden gelte, versuchte er nun zu vermitteln. So faselte Herr Kaiser beim Anblick von spielenden Kindern: "Nennen Sie es Vorsorge - wir nennen es Liebe!" In einem anderen Spot sind treppensteigende Kunden zu sehen, die den Fahrstuhl meiden und Herr Kaiser äußert: "Ja, so sind sie, die Kunden der Hamburg-Mannheimer: mit Spaß aktiv und gut versichert. Die haben mehr vom Leben!" Dass der Außendienst der Versicherung sympathisch sein soll, reflektieren die Menschen, denen Herr Kaiser in den Spots begegnet: "Hallo, Herr Kaiser", heißt von denen, "gut, dass ich Sie treffe."
- Privat: der Günter
Umfragen belegen 1977, dass der Bekanntheitsgrad von Herrn Kaiser immer größer wird. Zwei Jahre später erhält Kaiser den Vornamen Günter. Anlass hierfür ist die Veröffentlichung von redaktionell gestalteten Werbetexten unter seinem Namen. In den 1980ern partizipierte der Biedermann Günter Kaiser an der grassierenden Fitness- und Aerobicwelle und gab Gesundheits- und Fitnesstipps im TV. Auch 1990 passte sich Herr Kaiser dem Zeitgeist an und bekam zur neuen Kampagne auch gleich ein neues Image.
- James Bond für Spießer
1996 war der alte Günter Kaiser zu langweilig geworden und die Hamburg-Mannheimer wollte jüngere Kundschaft ansprechen. Der neue Vermittlertyp sollte zeitgemäßer, dynamischer und offener wirken als der alte Günter. Mit Nick Wilder, einem Schauspieler, der damals schon seit 30 Jahren in den USA gelebt hatte, fanden die Werbefachleute ihren "James Bond des Versicherungswesens", wie es eine Casting-Direktorin ausdrückte. Der neue Kaiser versuchte mehr Selbstbewusstsein, Charakter und Humor an den Tag zu legen. Aber er blieb trotz des Facelifting der bekannte oberflächlich-langweilige Begleiter, Schulmeister und Förderer von Kunden, die sich wie kleine dumme Kinder freuten, den Mann in Koffer und Anzug zu sehen. Schamlos wurde die Werbung im Jahr 2000, als Kaiser in einem Spot mit nacktem Oberkörper zu sehen war, dabei über die Rentenproblematik dozierend. Und der Gipfel der Peinlichkeit war erreicht, als der Vertreter zur Fußball WM 2006 mit Kollegen im Büro Fußball spielte, in einem supermodernen Stahlbetonbau und natürlich in Schlips und Kragen - aber ohne Aktenkoffer.
- Abschied und mehr vom Leben
Bis zum Schluss blieb Herr Kaiser seinen Prinzipien treu und verbreitete in seinen Spots tödliche Langeweile, zuletzt mit dem Slogan, dass Glück planbar sei. Sein Darsteller Wilder wurde am Ende in der Öffentlichkeit gar nicht mehr als Wilder wahrgenommen, sondern nur noch als Herr Kaiser. Im Juli 2010 schickte man die Vertreterfigur dann schließlich in den Ruhestand. Der Versicherer Ergo erneuerte den Markenauftritt und taufte deshalb seine Lebensversicherungs-Tochter Hamburg-Mannheimer in Ergo um. So erfolgreich und bekannt Herr Kaiser in der Zeit seines Wirkens auch war, er gehörte zur alten Marke und hatte ausgedient. Der 54-jährige Wilder heuert nun auf dem Traumschiff an. Alles in allem repräsentierte das Phänomen Kaiser hauptsächlich die Sehnsucht nach Sicherheit von Seiten der Kunden der Versicherungen. Kaiser verkörperte den deutschen Spießer: artig und devot, stets korrekt mit Anzug, Hemd, Krawatte und Aktenkoffer. Kreative und originelle Werbung ist definitiv etwas anderes. Auch informativ oder humorvoll waren die Werbespots mit Kaiser nicht, weswegen er wahrscheinlich schnell in Vergessenheit geraten wird. Seitdem Her Kaiser abgesetzt ist, haben die Konsumenten von Fernsehwerbung mehr vom Leben.